Veranstaltung: | Landesmitgliederversammlung Bremen |
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Tagesordnungspunkt: | 5. Leitantrag "Feministisch aus der Krise" |
Antragsteller*in: | Landesvorstand (dort beschlossen am: 26.11.2020) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 26.11.2020, 22:14 |
F-01: Feministisch aus der Krise
Antragstext
Feministisch aus der Krise
Die Krise trifft uns nicht alle gleich. Corona hat die Ungleichheiten nicht
verursacht, aber sichtbarer gemacht und verschärft. Menschen, die doppelt, drei-
oder vierfach von Diskriminierung betroffen sind, leiden besonders stark unter
der Pandemie und ihren Folgen.
Viele Errungenschaften und Fortschritte auf dem Weg zur
Geschlechtergerechtigkeit drohen in der Corona-Krise verloren zu gehen, und das,
obwohl wir in dieser Krise viel deutlicher als sonst sehen, wie bedeutend die
Arbeit von Frauen für unsere Gesellschaft ist.
Denn Frauen arbeiten häufiger in den sogenannten systemrelevanten Berufen: Es
sind die Pflegerinnen in den Krankenhäusern, die Kassiererinnen im Einzelhandel,
die Erzieherinnen in der Kita, die nicht ins Home Office können. Und zuhause
liegt noch immer die Hauptverantwortung für Erziehung, Haushalt und die Pflege
Angehöriger bei den Frauen. Durch Schul- und Kita-Schließungen hat sich dieses
Ungleichgewicht verschärft. Die Corona-Krise trifft uns nicht alle gleich. Denn
Frauen leisten den Großteil der unverzichtbaren Arbeit, bezahlt und unbezahlt,
und trotzdem sind sie stärker von den Auswirkungen der Krise betroffen. Sie
haben das Land am Laufen gehalten und damit persönlich wie beruflich stark
zurückstecken müssen.
Ungleiche Löhne, Unvereinbarkeit von Familie und Beruf, unzureichende
Kinderbetreuungsangebote, ungerechte Verteilung von Sorgearbeit, häusliche
Gewalt, erschwerter Zugang in der Geburtshilfe und zum Schwangerschaftsabbruch -
an vielen Stellen zeigt die Krise uns, wie weit wir noch von einer
geschlechtergerechten Gesellschaft entfernt sind. Gleichzeitig laufen wir
Gefahr, in traditionelle Geschlechterrollen zurückzufallen. Unsere Antwort auf
die Krise muss daher eine feministische sein.
Klatschen reicht nicht! Pflegeberufe aufwerten
Deutschlandweit sind drei Viertel aller sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigten in den Krankenhäusern Frauen. Die wichtige Arbeit, die dort
geleistet wird, findet aber weiterhin unter widrigen Bedingungen statt. Die
Verantwortung ist groß, doch Arbeitsbedingungen und Löhne teilweise schlecht.
Die beschlossene finanzielle Aufwertung der Arbeit ist ein erster Schritt. Dafür
brauchen wir allerdings vom Bund ein Entlastungspaket, das uns als hoch
verschuldetes Bundesland stärker finanzielle Spielräume gibt, um den
Beschäftigten einen besseren Lohn zahlen zu können. Aktuell wird nur etwa ein
Drittel der Pflegekräfte im Land Bremen nach Tarif bezahlt. Wir setzen uns im
Senat für eine flächendeckende Tarifbindung ein!
Mehr Geld allein reicht nicht, auch die Arbeitsbedingungen müssen besser werden.
Eine hohe Zahl an Überstunden, Doppelschichten und viel Verantwortung mit zu
wenig Personal sind Alltag in der Pflege. Die Krise in der Pflege verschärft
sich in der Pandemie weiter und immer mehr Pflegekräfte geben auf, manche schon
in der Ausbildung. Die Beschäftigten, die heute das Leben am Laufen halten,
brauchen nicht weniger, sondern mehr Gesundheitsschutz. Es ist in jeder Hinsicht
kontraproduktiv, wenn jetzt gerade diejenigen, die sowieso schon am Anschlag
arbeiten noch länger arbeiten müssen. Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz ist
unzureichend. Die Pflegepersonaluntergrenzen-Verordnung wurde zwischenzeitlich
sogar ausgesetzt, um Pflegekräfte aus anderen Abteilungen auf den
Intensivstationen einzusetzen. Diese Zustände müssen die absolute Ausnahme
bleiben. Wir wollen eine Personalbemessung in der Alten- und Krankenpflege, die
sich am tatsächlichen Pflegebedarf der Menschen ausrichtet.
Deshalb fordern wir:
- flächendeckende und allgemeinverbindliche Tarifverträge in allen sozialen
Berufen
- Anreize für den Wiedereinstieg von Fachkräften in die Pflege zu setzen und
mit einer flexiblen Vollzeit zwischen 30 bis 40 Stunden mehr
Zeitsouveränität für die Beschäftigten zu schaffen
- eine bundesweit verbindliche Personalbemessung in der Pflege und
Geburtshilfe
- ein Entlastungspaket vom Bund, der es uns und anderen Kommunen ermöglicht,
Pflege- und Sozialberufen besser zu bezahlen
Mehr Fürsorge - weniger Geld
Während die Kitas und Schulen im Frühjahr geschlossen waren, kümmerten sich vor
allem die Frauen um die zuhausegebliebenen Kinder. Eine massive Mehrbelastung,
die bei vielen Frauen zur Stundenreduzierung oder gleich zum Verlust der
Arbeitsstelle führte. Eine politische Antwort auf diese Schieflage gab es nicht,
sondern es galt das Prinzip „Mama macht das schon“. Dass vor allem Frauen für
die Kinderbetreuung ihre Erwerbsarbeit aufgaben, hat einen einfachen Grund:
Hauptverdiener in vielen Haushalten ist ein Mann. Die Corona-Krise hat auch hier
eine bestehende Ungerechtigkeit verschärft.
Frauen haben sich in dieser schwierigen Zeit auch häufig um pflegebedürftige
Angehörige gekümmert, weil z.B. Tagespflegeeinrichtungen ausgefallen sind. Auch
dadurch sind sie in ihrer Erwerbsarbeit eingeschränkt worden und stärker von
finanziellen Einbußen betroffen. Auch hier zeigt sich wieder die riesige
Bedeutung unbezahlter Sorgearbeit während der Corona-Krise.
Ein weiterer Grund für die wirtschaftliche Ungleichheit der Geschlechter: Fast
die Hälfte aller erwerbstätigen Frauen arbeitet in Teilzeit oder Minijobs. In
Kurzarbeit wird ein ohnehin schon geringerer Lohn noch geringer. Das Risiko, in
Armut abzurutschen, erhöht sich damit um ein Vielfaches. Der Bremer
Landesmindestlohn soll 2021 auf über 12 Euro steigen. Dies ist ein wichtiger
Schritt zur Absicherung von prekär beschäftigten Frauen.
Die finanzielle Gleichstellung der Geschlechter und die finanzielle Autonomie
von Frauen sind entscheidend für Selbstbestimmung und Unabhängigkeit. Wir Grüne
kämpfen daher für Lohngleichheit und die gerechte Verteilung unbezahlter
Sorgearbeit - in der Krise und darüber hinaus!
Deshalb fordern wir:
- Recht auf Notbetreuung für Personen in systemrelevanten Berufen bei
erneuten Schul- und Kitaschließungen
- Eine Lohnersatzzahlung für pflegende Angehörige, den Anspruch auf ein
Pflegeunterstützungsgeld und die Ausstattung mit Schutzkleidung und
Desinfektionsmitteln
- Paritätische Elternzeit und Reform des Elterngeldes
- Abschaffung des Ehegattensplittings
Wirksam gegen häusliche Gewalt
2019 wurde fast jeden dritten Tag eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner in
Deutschland getötet. Die Corona-Krise hat das Gewaltproblem in den eigenen vier
Wänden extrem verschlimmert, denn Isolation und eine schwierige soziale und
finanzielle Situation in den Familien nahmen zu, Abhängigkeiten und Spannungen
in vielen Fällen verschärft. Kleine Wohnungen für viele Familienmitglieder
werden zu einer Zerreißprobe, wenn man nicht vor die Tür darf, oder soll.
Deshalb war es richtig, im Frühjahr die Plätze von Frauenhäusern temporär
aufzustocken. Wir brauchen bundesweit endlich einen Rechtsanspruch auf Schutz
vor häuslicher Gewalt, der im StGB verankert ist. In Bremen und Bremerhaven
müssen grundsätzlich mehr Plätze in Frauenhäusern geschaffen werden, um Frauen
in gefährlichen Situationen nicht ihrem Schicksal zu überlassen.
Deshalb fordern wir:
- Bundesweiten Rechtsanspruch auf Schutz vor häuslicher Gewalt
- Eine zügige Umsetzung des Bremer Landesaktionsplan zur Istanbulkonvention
- Kapazitäten von Schutzeinrichtungen weiter zu erhöhen, neue
Schutzwohnungen zu schaffen und Frauenhäuser zu modernisieren
- Ausbau präventiver Maßnahmen, wie Täterarbeit, um Gewalt gegen Frauen
frühzeitig zu verhindern
Alleinerziehende nicht im Regen stehen lassen
Schon vor der Krise waren alleinerziehende Frauen in einer meist angespannten
Lage und häufig von Armut bedroht. Um Erziehung und Job unter einen Hut zu
bekommen, sind sie häufig gezwungen, einer Teilzeitbeschäftigung nachzugehen,
unter massiven finanziellen Einbußen. Ausfall von Schule und Kita haben dies
weiter erschwert. Finanzielle Sorgen haben sich in der Krise noch stärker
breitgemacht.
Deshalb müssen Schulen und Kitas Verlässlichkeit und Flexibilität bei den
Betreuungszeiten bieten, besonders für Alleinerziehende. Falls es zu einer
erneuten Schließung von Schulen und Kitas kommen sollte, müssen neben Eltern,
die in systemrelevanten Berufen arbeiten, auch Alleinerziehende den Anspruch auf
Kinderbetreuung haben.
Deshalb fordern wir:
- Einführung einer bundesweiten Kindergrundsicherung
- Anspruch auf Notbetreuung bei Schul- und Kitaschließungen für
Alleinerziehende
- Ausbau flexibler Randzeitbetreuung und Errichtung einer 24-Stunden-Kita
- Finanzierung von Jugend- und Familienhilfe sichern
- Recht auf mobiles Arbeiten bei Übernahme aller entstehenden Arbeitskosten
(Laptop, Drucker usw.) durch die Arbeitgeber*innen
Arbeitsmarkt- und Steuerpolitik geschlechtergerecht machen, Eigenständigkeit
sichern:
Die strukturelle Benachteiligung von Frauen ist bei wirtschaftspolitischen
Schutzschirmen in den vergangenen Monaten spürbar gewesen. Zu viele Frauen
arbeiten häufig in Minijobs, im informellen Sektor oder sind anderweitig prekär
beschäftigt und somit kaum vor Jobverlust und großen Einkommenseinbußen
geschützt gewesen. Frauen wird dann häufig vorgeworfen, dass sie den falschen
Beruf gewählt hätten und doch was anderes machen sollten, wo sie mehr Geld
verdienen würden. Dabei ist die freie Entscheidung über die Berufswahl nicht das
Problem, sondern strukturelle Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt! Die
Versäumnisse der Vergangenheit müssen jetzt endlich angepackt werden, um einen
modernen und gleichberechtigten Arbeitsmarkt zu schaffen, der die eigenständige
Absicherung von Frauen unterstützt, statt zu behindern und Sorgearbeit in den
Blick nimmt und nicht zu Lasten der Frauen einfach ignoriert. Eine paritätische
Elternzeit, das Rückkehrrecht in Vollzeit und eine neue, flexible Vollzeit von
30 bis 40 Stunden sowie die Abschaffung des Ehegattensplittings sind wichtige
Schritte auf dem Weg dorthin.
Mit dem Bremen-Fonds nehmen wir 1,2 Milliarden Schulden auf, um in den nächsten
Jahren in eine robuste öffentliche Infrastruktur und die sozial-ökologische
Transformation der Wirtschaft zu investieren. Anders als beim Konjunkturpaket
der Bundesregierung dürfen Frauen und systemrelevante Berufe beim Bremen-Fonds
nicht hinten runterfallen. Deshalb fordern wir, dass alle Investitionen
kontinuierlich auf genderspezifische Wirkungen überprüft und ggfs. angepasst
werden. Es muss sichergestellt werden, dass Zukunftsinvestitionen Frauen in
gleichem Maße zugute kommen wie Männern. Mit dem Bremen-Fonds müssen wir vor
allem dort investieren, wo wir sozialversicherungspflichtige Arbeit schaffen
können, denn nur so können wir eigenständige Existenzsicherungen sichern.
Deshalb fordern wir:
- Paritätische Elternzeit
- Rückkehrrecht in Vollzeit nach einer Schwangerschaft
- eine neue, flexible Vollzeit von 30 bis 40 Stunden die Woche
- Abschaffung des Ehegattensplittings
- einen Bonus für jedes Unternehmen, dass bei jedem neu geschaffenen
Arbeitsplatz eine Frau einstellt
Wir wollen geschlechtergerecht aus der Krise kommen:
Die Corona-Krise könnte unsere Gesellschaft auf dem Weg zur
Geschlechtergerechtigkeit um Jahre zurückwerfen. Dem müssen wir uns
entgegenstellen: Wir können jetzt die politischen Entscheidungen treffen, die
den Weg zur Gleichstellung und Gerechtigkeit frei machen, damit Frauen gestärkt
aus der Krise herauskommen!
Für uns ist klar: Frauen haben mehr verdient - mehr Lohn, mehr Zeit und mehr
Gestaltungsmöglichkeiten. Deshalb müssen wir Wirtschaft und Arbeitsleben
krisenfester, solidarischer, gerechter und nachhaltiger gestalten - im Land
Bremen und im Bund.
Denn die Krise trifft uns nicht alle gleich, sondern verschärft bestehende
Ungleichheiten und Schieflagen. Deshalb ist unsere Antwort auf die Krise die
feministische!
Unterstützer*innen
- Moritz Zeising (KV Bremen-Mitte)
Änderungsanträge
- Ä1 (Moritz Zeising (KV Bremen-Mitte), Angenommen)
Kommentare
David Lukaßen:
Ich frage mich daher insgesamt, ob es in der Form als Antrag für eine LMV, die nach einigen Aussagen gut 8 Stunden dauern kann, der richtige Zeitpunkt für so einen Antrag ist. Ich würde daher anregen, den Antrag zurückzustellen und uns bei der LMV auf die Wahlen und die auch schon fordernde Debatte um einen Landesausschuss zu konzentrieren. Mich würde daher auch interessieren, wie es andere hier sehen.